Sütterlin, Fraktur oder Antiqua?

 

Antiqua-Schriftarten (vom lat. antiquus = „alt, einstig“) sind im allgemeinen Sinne Schriftarten mit gerundeten Bögen, die auf dem lateinischen Alphabet basieren. Antiqua-Schriften und deren Mischformen sind heute die am häufigsten genutzten Druck- und Schreibschriften. Im engeren Sinne versteht man unter Antiqua auch Serifenschriften als Gegensatz zur serifenlosen „Linear-Antiqua“. Als Serife bezeichnet man die feine Linie, die einen Buchstabenstrich am Ende, quer zu seiner Grundrichtung, abschließt.

 

Ein Streit ob nun Fraktur oder Antiqua als Druckschrift in Deutschland zu verwenden ist, ist so alt wie das Reich. 1871 wurde bekanntlich unter Wirkung Otto von Bismarcks das Deutsche Reich gegründet. Schnell gab es seinerzeit eine Debatte zur einheitlichen Schrift im Reich. Nahezu jedes Deutsche Land hatte bis dahin seine eigene Schreibweise und eine eigene Schriftart für Gedrucktes. Reichskanzler Otto von Bismarck war allerdings stets Befürworter der Fraktur und so setzte sich diese relativ schnell im öffentlichen durch.

 

Doch der Antiqua-Fraktur-Streit wurde als öffentliche Debatte schon 1881 durch Reformvorschläge des Schreibwarenherstellers Friedrich Soennecken wieder aufgenommen. Er war Befürworter der „Altschrift“. „Altschrift“ verstand er als eindeutschende Bezeichnung für Antiqua und gründete den Verein für Altschrift.

 

Die Wandlung der „runden“ karolingischen Minuskel in „eckige“ gotische Schriften begann im „Welschen“(Nordfrankreich), nicht in Deutschland, und wurde in ganz Europa weitergeführt. Zahlreiche der in Deutschland so beliebten Frakturschriften sind mit ihren Schnörkeln und Rüsseln viel runder als die gotische Textura und viel schnörkeliger als die klare Antiqua.

 

Die Gegenseite, die Fraktur beibehalten wollte, wurde federführend durch den Oberkorrektor der Reichsdruckerei Adolf Reinecke und den Verleger Gustav Ruprecht, an der öffentlichen Diskussion vertreten.

„Die runden, welschen Buchstaben haben sich unserem Wesen gemäß zu geraden, eckigen, knorrigen, verästelten und dabei künstlerischen Gebilden zur sogenannten gotischen oder Eckschrift entwickelt. In dieser Umgestaltung sehen wir sich eine schöpferische Tat germanischen Geistes vollziehen. Der welschen Schrift wurde der Stempel des Deutschtums aufgeprägt.“ So seinerzeit Adolf Reinecke.

 

Der Streit führte nie zu einem Ergebnis und gipfelte ab 4.5.1911 in Reichstagsdebatten, die aber ebenfalls zu keiner Entscheidung führten. Bei der endgültigen Abstimmung am 17.Oktober 1911 stimmten 75 Prozent der Abgeordneten gegen den Antrag. Damit blieb alles beim Alten, also Fraktur.

 

Im Anschluss daran erhielt der Grafiker Ludwig Sütterlin vom preußischen Kultusministerium den Auftrag, eine neue Schulausgangsschrift zu entwickeln. 1915 führte Preußen die deutsche und die lateinische „Sütterlinschrift“ in den Lehrplan der Schulen ein. Bis 1935 übernahmen auch die meisten anderen deutschen Länder Sütterlin.

 

Allerdings bestand eine Zweigleisigkeit in den Schullehrplänen und im alltäglichen Schriftgebrauch weiter. Die Antiqua gewann aber international an Bedeutung.

Auch zahlreiche Untersuchungen zur besseren Lesbarkeit einer gedruckten Schrift, gewann die Antiqua.

 

In den Zeiten der zwölfjährigen Wohlfühlvolksgemeinschaft hatte man ein widersprüchliches Verhältnis zu den traditionellen Schriftarten. Auf der einen Seite forderte man ein Einschreiten gegen den Missbrauch der deutschen Schrift“. Auf der anderen Seite verlangte die „Kulturtagung der NSDAP“ eine rückwärtsgewandte Haltung aufzugeben. Schon am 9. Mai 1933 forderte Reichsinnenminister Wilhelm Frick in einer Rede vor den Kultusministern der Länder, dass die deutsche Schrift „ihren unbedingten Vorrang vor der lateinischen niemals verlieren darf“. Am 8.August folgte er einer Anregung des Buchhändlerischen Fraktur-Bundes und ließ für das Innenministerium anordnen, nur noch „Schreibmaschinen mit deutschen Schriftzeichen“ anzuschaffen.

 

Die Verwendung von Fraktur als Druckschrift in Büchern und amtlichen Dokumenten war bereits bis 1932 auf fünf Prozent gesunken. In den Jahren 1933 bis 1935 nahm er wieder bis auf 50 % zu, sank aber schon vor 1940 wieder rapide ab. Trotz dieser Fraktur-Welle vor 1940 war der Anteil der Antiquadrucke an der deutschen Druckschriftenproduktion während der gesamten 12 Jahre wesentlich höher als die der Frakturschriftdrucke. schnitte. So hatte Fraktur nur als Drucksetzmaschinenschrift einen nennenswerten Anteil. Antiqua blieb die Norm für Schreibmaschinen.

 

Bereits 1934 soll der Führer auf dem Reichsparteitag gesagt haben: „…Unsere Sprache wird in hundert Jahren die europäische Sprache sein. Die Länder des Ostens, des Nordens wie des Westens werden, um sich mit uns verständigen zu können, unsere Sprache lernen. Die Voraussetzung dafür: An die Stelle der gotisch genannten Schrift tritt die Schrift, welche wir bisher die lateinische nannten. …“

 

Ernsthaft aufgegriffen wurde das Thema dann lange Zeit nicht. Erst Joseph Goebbels war es Anfang 1940, als er eine neue deutschsprachige Zeitung für ausländische Leser entwickelte. Am 15. März 1940 erschien „Das Reich“ zum ersten Mal, gesetzt in Antiqua. Bei einer anschließenden, geheimen Ministerkonferenz im Reichs-Propagandaministerium wurde am 27. März 1940 beschlossen, für sämtliches zur Verbreitung im Ausland bestimmte Schriftmaterial ausschließlich den dort jetzt üblichen Antiqua-Druck zu verwenden.

 

Es verging abermals fast ein Jahr, bis am 3. Januar 1941 Adolf Hitler eine Entscheidung fällte. Die gotischen Schriften seien sämtlich zugunsten der „Normal-Schrift“ aufzugeben. In einem nichtöffentlichen Rundbrief ließ er dies durch Martin Bormann verbreiten: „Die sogenannte gotische Schrift als eine deutsche Schrift anzusehen oder zu bezeichnen ist falsch. … Am heutigen Tage hat der Führer in einer Besprechung mit Herrn Reichsleiter Amann und Herrn Buchdruckereibesitzer Adolf Müller entschieden, dass die Antiqua-Schrift künftig als Normal-Schrift zu bezeichnen sei. Nach und nach sollen sämtliche Druckerzeugnisse auf diese Normal-Schrift umgestellt werden. Sobald dies schulbuchmäßig möglich ist, wird in den Dorfschulen und Volksschulen nur mehr die Normal-Schrift gelehrt werden.

Die Verwendung der Schwabacher Lettern durch Behörden wird künftig unterbleiben; Ernennungsurkunden für Beamte, Straßenschilder und dergl. werden künftig nur mehr in Normal-Schrift gefertigt werden.

Im Auftrage des Führers wird Herr Reichsleiter Amann zunächst jene Zeitungen und Zeitschriften, die bereits eine Auslandsverbreitung haben, oder deren Auslandsverbreitung erwünscht ist, auf Normal-Schrift umstellen.“ Am 13.Januar 1941 leitete Hans Heinrich Lammers diesen Beschluss an die obersten Reichsbehörden weiter, allerdings mit der von ihm angenommenen Begründung, dass „die Verwendung der gotischen Schriftzeichen den deutschen Interessen im In- und Auslande schade, weil Ausländer, die die deutsche Sprache beherrschen, diese Schrift meist nicht lesen können“.

 

Am 1. September 1941 regelte dann ein Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung den Schreibunterricht an Schulen. Die 1935 eingeführte „deutsche Volksschrift“, eine Variante der spitzen Sütterlinschrift, wurde aufgegeben. Stattdessen sollte ab dem Schuljahr 1941/42 nur noch eine lateinische Schreibschrift, die neue „deutsche Normalschrift“, unterrichtet werden. Der Erlass enthielt auch genaue Anweisungen zum Aussehen dieser Schrift. Zur Regelung der Umstellung auf die Normalschrift im Leseunterricht erging ein weiter Erlass des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, durch den angeordnet wurde, dass das Lesen der Frakturschriften „im zweiten und dritten Schuljahr gelehrt“ wird, damit diese Schriften „in den bisherigen Büchern und Schriften noch weiterhin fließend vom Volk gelesen werden können“. Eine sofortige Änderung erfolgte aber, schon aus logistischen Gründen, nicht. Man konnte mitten im Krieg nicht unmittelbar alle Lehrmaterialien austauschen. Auch die Zeitungs- und Buchverlage konnten nicht im notwendigen Maße lateinische Setzlettern kaufen. Dennoch gilt der Normalschriftenerlass als Ende der spitzen deutschen Schriften als allgemeine Gebrauchsschrift.

 

Nach Mai 1945 wurde die Verwendung von offiziellen Schriften in den vier Besatzungszonen von den jeweiligen Besatzungsmächten unterschiedlich geregelt. In den westlichen Besatzungszonen wurde das Benutzen der deutschen Schrift vielerorts durch die Alliierten untersagt, weil sie diese Schrift nicht lesen konnten. Im „Westen“ wurde die deutsche Schreibschrift ab 1954 wieder an den Schulen einiger Bundesländer als zusätzliche Ausgangsschrift gelehrt, konnte sich jedoch nicht mehr nachhaltig gegen die lateinischen Schreibschriften durchsetzen.

 

In der Bundesrepublik Deutschland und der DDR hat sich die Fraktur allerdings dennoch im öffentlichen Leben gehalten. So wurden Straßenschilder, Wirtshausschilder, Biermarken, Firmennamen, Zeitungsnamen und andere Werbemittel, die eine gewisse Altertümlichkeit oder etwas Deutsches symbolisieren sollten, in Fraktur gedruckt. Seltsamerweise hatte auch die Bundesregierung mal ein Anflug von Geschichtsbewusstsein. So wurde auf den ab Oktober 1990 von der Deutschen Bundesbank herausgegebenen DM-Banknoten der letzten, vierten Serie das Wort „Banknote“ in Fraktur gesetzt.

(s. z. B: hier: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:100_DM_1996.jpg&filetimestamp=20101114202824 )

 

Teilweise hat sich die Fraktur bis heute noch als Auszeichnungsschrift in Urkunden gehalten. Vollständige Bücher werden allerdings nur noch vereinzelt in gebrochenen Schriften gesetzt. In öffentlichen Debatten stoßen gebrochene Schriften als „deutsche Schrift“ auf kein nennenswertes Interesse mehr, ganz im Gegensatz zu national denkenden Kreisen, wo der „Antiqua-Fraktur-Streit“ eine neue Hochzeit erlebt. Ganz ähnlich wie in diesen Kreisen Diskussionen zur Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 geführt werden. Allerdings kann man nahezu jede erdenkliche Schriftart, egal ob Fraktur, Sütterlin, Antiqua oder Schwabacher und andere Deutsche Schriften als „Schrifttype“ für den Einsatz in rechnergesteuerten Textverarbeitungsprogrammen erhalten.

 

 

Hier noch ein direkter Vergleich,
Sütterlin, Fraktur, Antiqua:

 

 

 

Hermann Rudolph – Terra-Kurier / 08.2016